Der Wechsel vom Kindergarten in die Schule ist ein bedeutender Einschnitt im Leben eines Kindes. Doch nicht nur für das Kind ist dies ein großer Schritt. Auch Eltern müssen mit der neuen Selbstständigkeit ihres Kindes umzugehen lernen. Es ist wieder einmal Zeit lozulassen, um das Kind angemessen in den neuen Lebensabschnitt begleiten zu können.
Der Herbst ist für alle Schulkinder die Zeit der großen Umbrüche. Neue Lehrer, Mitschüler, eine neue Schule oder neue Fächer warten nach den großen Ferien auf sie. Ganz besonders aufregend ist diese Zeit für die Erstklässler. Für sie beginnt mit dem Wechsel vom Kindergarten in die Schule ein neuer Lebensabschnitt. Ein weiterer großer Meilenstein in Richtung Selbständigkeit. Auch wir Eltern müssen wieder einmal loslassen, ein Stück weit Abschied nehmen, um unser Kind durch diese Veränderung hindurch adäquat unterstützen zu können.
Aber mit dem Loslassen ist das so eine Sache. Es klingt recht einfach und wenn man nicht selbst involviert ist, hat man immer den Vorteil, frei von tiefgehenden Gefühlen die Situation beurteilen zu können. Ist doch toll: Das Kind kommt in die Schule, es wird immer unabhängiger von uns, das ist doch letztlich das Ziel des Elternseins, nicht?
Natürlich wissen wir das. Selbstverständlich wollen wir, dass unser Kind irgendwann ein selbstbewusstes, eigenständiges Leben führen kann. Irgendwann. Doch jeder einzelne Schritt dahin ist mit einem kleinen Abschied verbunden und mit der Erkenntnis, dass uns unser Kind ein Stück weit weniger braucht, sich ein Stück weit mehr von uns entfernt.
Herausforderung Loslassen:
Unser Verstand ist einsichtig, doch das Herz schmerzt trotzdem.
Wenn ein Kind auf die Welt kommt, ändert sich für uns Eltern mit einem Schlag alles. Waren wir bis dahin allein für uns selbst verantwortlich, konnten selbst über die Gestaltung unseres Alltags entscheiden – darüber, wieviel und wann wir schlafen, wann wir essen, duschen oder etwas unternehmen wollten – so sind wir ab dem Moment der Geburt unseres Kindes damit konfrontiert, dass sich diese Selbstbestimmung erheblich reduziert und unsere Verantwortung um ein Vielfaches erhöht. Wenn ein Baby in unser Leben tritt, ist es das Schönste und Wunderbarste, was uns passieren kann. Es ist aber auch die wahrscheinlich größte Herausforderung, die das Leben an uns zu stellen vermag.
Wir sind plötzlich dafür zuständig, 24 Stunden am Tag die Bedürfnisse dieses kleinen Wesens zu befriedigen, wobei unsere eigenen Bedürfnisse erst einmal Schlange stehen müssen. Das Kind kommt zuerst. So soll es sein und so empfinden wir es auch. Es braucht uns, voll und ganz. Mit Leib und Seele. Es ist uns ausgeliefert und die Natur hat uns klugerweise mit Hormonen ausgestattet, die dafür sorgen, dass wir uns dementsprechend verhalten.
Anfangs kann diese Umstellung mehr oder weniger schwierig sein. Doch mit der Zeit gewöhnen wir uns daran. Den meisten Eltern fällt es schwer, ihr Kind das erste Mal in die Obhut anderer Menschen zu geben. Sobald eine Mutter erstmals ihr Kind bei den Großeltern lässt, wird sie wahrscheinlich zwiespältige Gefühle dabei empfinden: einerseits das inzwischen eher fremde Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung, andererseits eine Art von Abschied und Unsicherheit. Wird die Oma die Bedürfnisse meines Babys ausreichend befriedigen können? Wird mein Kind meine Abwesenheit gut verkraften?
Eine Trennung ist immer auch ein kleiner Abschied.
Ein Abschied von der engen Bindung zueinander.
Noch intensiver ist dieser Trennungsschmerz zu spüren, wenn das Kind in Krippe bzw. Kindergarten kommt. Das Kind wird dabei erstmals erleben, außerhalb der Familie kontinuierlich betreut zu werden. Es muss ein Stück weit loslassen und sich auf andere Bezugspersonen einlassen. Die Trennung zwischen Eltern und Kind bringt für beide Seiten sowohl einen Schritt in die Selbständigkeit als auch die schmerzvolle Erfahrung einer Loslösung aus der bis dahin weitgehend engen Bindung zueinander. Wir Eltern spüren, wie unser Kind sich wieder ein Stück weit aus unserer Beziehung herauslöst, um einen weiteren Schritt in Richtung Selbständigkeit machen zu können. Es ist Zeit zum Loslassen. Das ist zwar schön, tut aber auch weh.
Beim Schuleintritt haben wir zwar den Vorteil, dass wir nicht mehr, wie beim Eintritt in den Kindergarten, völlig neues Terrain betreten. Unser Kind hat ja inzwischen Erfahrungen in der außerfamiliären Betreuung sammeln können und ist mit der Tatsache an sich, in der Einrichtung ohne uns auszukommen, vertraut. Dies ist wohl der wesentlichste Unterschied im Vergleich zur Eingewöhnung in den Kindergarten. Hier war es ja eine völlig neue Erfahrung für Eltern und Kind, dass das Kind sich fortan in Obhut professioneller Betreuung befand.
Beim Wechsel in die Schule jedoch kommt, neben der Umstellung auf eine andere Bezugsperson und unbekannte Kinder, wieder eine neue Herausforderung hinzu: die Aufnahme und Verarbeitung des hier dargebotenen Lernstoffes und die daraus resultierende Bewertung erbrachter Leistungen. Je nachdem, welche Erfahrungen wir Eltern selbst mit diesem Thema gemacht und welche Erinnerungen uns in diesem Bereich geprägt haben, werden wir mit einem entsprechenden Gefühl dem Schuleintritt unseres Kindes entgegensehen. Hinzu kommt wieder der Schmerz des Verabschiedens.
Mein Kind kommt in die Schule,
wieder wird es ein Stück weit unabhängiger von mir.
Ich werde wieder ein Stück weit weniger gebraucht von meinem Kind. Ich trete als Elternteil immer mehr in den Hintergrund, während immer mehr andere Menschen Anteil am Leben meines Kindes haben. Das tut weh.
Doch auch wenn wir Eltern immer wieder dieses Stechen im Herzen, das flaue Gefühl in der Magengegend verspüren, wenn sich unser Kind wieder einen weiteren Schritt von uns entfernt, so ist dies völlig normal und natürlich. Wichtig dabei ist nur, dass wir trotz des Abschiedsschmerzes bereit sind, loszulassen. Auch wenn es weh tut.
Nur, wenn wir bereit sind, unser Kind seine eigenen Erfahrungen am Weg in ein selbständiges Leben machen zu lassen, kann es dies auch ungehindert tun. Wir Eltern haben die schwierige Aufgabe, unser Kind immer wieder loszulassen und gleichzeitig aber da zu sein, wann immer es uns braucht. So erfährt es, dass es – egal was passiert – immer zu uns kommen kann, wir sein stabiler Rückhalt im Leben sind, wir uns ihm aber auch nicht in den Weg stellen, um ausreichend eigene Erfahrungen sammeln zu dürfen. Das ist das Beste und Einzige, was wir für unser Kind tun können.
Gastbeitrag von Tamara Jungbauer aus Wien, Erziehungswissenschaftlerin und Betreiberin des Erziehungsblogs erziehungskiste.net, auf dem sie Informationen und Hintergrundwissen rund um das Thema Erziehung und Familie sowie die Möglichkeit einer Online-Beratung anbietet.