Kreativ sein: Das kann doch jedes Kind! Richtig? Tatsächlich fließt in viele unserer Alltagshandlungen und Entscheidungen schöpferische Kraft mit ein. Bei dem einen mehr, beim anderen weniger. Das hängt zu einem kleinen Teil davon ab, wieviel Kreativität uns gegeben ist. Vor allem aber davon, ob wir diese Gabe regelmäßig trainieren und über genügend Mut verfügen, an Aufgaben originell heranzutreten, neue Ideen zuzulassen und ungewohnte Wege zu beschreiten. Menschen, die schon als Kind in ihrer Kreativität bestärkt wurden, tun sich im späteren Leben um ein Vielfaches leichter, eben diese Kraft, diesen Ideenreichtum und letztlich diese Intelligenz zu entfalten und zu nutzen. Darum ist es so wichtig, dass Eltern die Kreativität ihrer Kinder von Anfang an fördern. Aber wie?
Warum brauchen wir Kreativität?
Ohne Kreativität und ohne Menschen, die kreativ denken, können auch keine Probleme gelöst werden. Es kann keine neuen Erfindungen mehr geben und es können keine neuen Ideen entstehen. Sprich, ohne Kreativität würde die Welt stehenbleiben oder zumindest nur noch sehr langsam, ineffizient und unpraktisch funktionieren. In der sich immer rasanter verändernden Welt ist Kreativität außerdem wichtig, um sich zu behaupten und Mut zu Neuem und zu Veränderung mitbringen zu können. Außerdem stürbe die Kunst aus, die Literatur, die Musik, der Film. Alles also, was unterhält, Spaß macht, bildet und die Menschheit seit vielen Jahrhunderten intellektuell und kulturell voranbringt.
Kreativität, was heißt das eigentlich? Der Begriff umfasst eine bestimmte Grundeinstellung zum Leben und zu den Aufgaben, die es an uns stellt, eine Sichtweise auf die Welt, nämlich:
- An eine bestimmte Sache, Aufgabe, ein Problem couragiert herangehen
- Diese Sache ausprobieren
- Sie von allen Seiten betrachten
- Sie neu zu denken
- Quer zu denken
- Grenzen zu überschreiten
- Bekanntes umzudeuten und zu verfremden
- Perspektiven zu wechseln
- Neue Wege zu gehen
Kinder sprühen vor Ideenreichtum
Kinder sprühen in der Regel vor Ideen, Experimentier- und Spielfreude und originellen Einfällen. Lässt man sie machen und ausprobieren, wächst die Kreativität der Kleinen umso besser. Allerdings erlebt die freie Entfaltung oft schon durch den Schuleintritt einen kräftigen Dämpfer. Dann gilt es, bestimmtes vorgeschriebenes Material auswendig zu lernen. Mit seinen starren Vorgaben und Regeln verkleinert der klassische Frontalunterricht den Kreativitätsspielraum gewaltig. Die Kreativität vieler Kinder nimmt dann langsam ab, der Einfallsreichtum sinkt mit den Jahren und je älter sie werden.
Schulen mit alternativpädagogischen Ansätzen wie Waldorfschulen, Montessori-Schulen und weitere Reformschulen versuchen, durch ein größeres Maß an Freiheit und Individualität den Raum für keatives Arbeiten und Denken möglichst weit zu lassen. Doch auch wenn private Alternativschulen in Deutschland immer beliebter werden, sind sie doch noch immer die Ausnahme. Die allermeisten Kinder (ca. 90 Prozent) besuchen eine staatliche Regelschule.
Doch ob herkömmlicher Unterricht oder Freiarbeit: Schulen können nicht alles und sind nicht für alles verantwortlich. Das wichtigste und prägendste Lebensumfeld für Kinder ist immer noch die Familie. Umso wichtiger ist es, dass Eltern etwas dafür tun, dass ihr Kind seine angeborene Kreativität kontinuierlich entfalten kann. Denn die Ergebnisse zahlreicher wissenschaftlicher Studien wie beispielsweise eine vom Softwarehersteller „Adobe“ in Auftrag gegebene, zeigen: Kreative sind nicht nur glücklicher und selbstbewusster, sie verdienen im Durchschnitt auch mehr. Grund genug in die Zukunft seiner Kinder mittels Kreativitätsförderung zu investieren.
Kann Kreativität erlernt werden?
Erlernen im klassischen Sinne lässt sich Kreativität nicht. Allerdings müssen die Voraussetzungen dafür gegeben sein, dass Kreativität sich von alleine und frei und ungebremst entfalten kann. Diese Voraussetzungen zu optimieren, ist Aufgabe der Eltern.
Wer Kleinkinder beobachtet, sieht, dass diese ständig versuchen, sich kreativ auszudrücken. Da wird ein Schneebesen zum Musikinstrument, ein Einkaufsnetz zum Hut und Tomatensoße zur Fingerfarbe. Diesem fantasievollen Spiel kann früh ein Ende bereitet werden, indem den Kindern der offizielle Zweck der Gegenstände eklärt wird und sie dazu angehalten werden, diese „richtig“ zu verwenden. Stattdessen sollten Eltern den ungefragten Ratgeber in sich bremsen sich vielmehr in zugewandter Zurückhaltung üben. Anders ausgedrückt: Lasst die Kinder spielen und mischt euch nicht ständig ein!
Die meisten Kreativitätsergüsse im Kleinkindalter entstehen durch das Spielen mit verschiedenen Objekten, durch das Umdeuten von Alltagsgegenständen oder auch durch das Bauen von Skulpturen, Gebäuden und Ähnlichem mit Bauklötzen und ähnlichem „gutem Spielzeug“. Später folgen in der Regel Malen, Zeichnen, Singen, Rhythmus und Musik sowie Basteln. Sprache ist lange Zeit noch zu kompliziert, um sie als Kreativitätsventil zu nutzen.
Eltern sollten ihren Kindern diverse Materialien zur Verfügung stellen, die Kinder entdecken und für eigene Ideen verwenden können. Stifte und Papier sind ein guter Anfang, deutlich bunter wird die Kreativitätswelt allerdings, wenn Sand, Holz, Stoffe, Knete, Perlen und viele andere Dinge hinzukommen. Sie haben unterschiedliche Materialeigenschaften, fassen sich anders an, riechen anders, klingen anders. All diese Eigenschaften regen die Fantasie der Kinder an und sorgen für eigene schöpferische Ideen und deren Umsetzungen durch Spiel und Spaß.
Vermeintlich dröger Unterrichtsstoff, den aber nun einmal jedes Kind irgendwann lernen muss, wie etwa das 1×1, lernt sich übrigens genau nach dem gleichen Prinzip am besten: Alles lernt sich leichter durch Spielen und Ausprobieren mit unterschiedlichen Methoden und Medien. Durch Spaß an der Sache und nicht durch wenige, für die meisten Kinder langweilige begrenzte Bücher oder Listen.
Die Kreativität von Kindern fördern und unterstützen
Gutes Vorbild sein
Bei der Förderung der Kreativität von Kindern ist aber nicht nur eine geeignete Umgebung mit ausreichend Zeit und Material für schöpferisches Arbeiten vonnöten. Wie so oft ist das Vorbildverhalten der Eltern bei der Kreativitätsförderung ebenso maßgeblich. Leben Eltern ihren Kindern also eine unkonventionelle Lebensweise vor, bei der sie selbst kreativ in ihrem Verhalten, ihren Entscheidungen, der Gestaltung ihres Alltags sind, so bildet diese Lebensweise sicherlich eine gute Voraussetzung.
Sicherheit und Ermutigung bieten
Wichtig ist, dass zwischen Eltern und Kindern ein Verhältnis besteht, in welchem Vertrauen und Zutrauen selbstverständlich sind. Möchte ein Kind etwas ausprobieren, sollte es von den Eltern, wenn im Rahmen des unkompliziert Möglichen, auch die Gelegenheit dazu erhalten. Sollte das „Experiment“ des Kindes nicht gelingen oder sollte es Hilfe benötigen, ist es wichtig, dass Eltern als „erfahrene Kreative“ da sind, die dem Kind Tipps und Anstöße geben können, wie es vielleicht gelingen kann. Oder sie trösten, wenn einmal etwas nicht so gelingt, wie das Kind es sich vielleicht erhofft und vorgestellt hat. Wichtig ist außerdem, dass diese Versuche Spaß machen, um in positiver Erinnerung zu bleiben. Zeigen die Eltern Interesse und Freude an den Versuchen der Kleinen, wirkt sich das direkt auf diese aus. Verbote und Gereiztheit dagegen verderben den Spaß und unterbinden auf Dauer den Spiel- und Kreativitätstrieb.
Musik fördert Kreativität
Ein gutes Beispiel ist vielleicht das Experimentieren mit Musik: Viele Kinder fangen recht früh an, mit allen möglichen Dingen Klänge zu erzeugen. Sie trommeln mit Kochlöffeln auf Töpfe, schlagen Bauklötze aneinander, klatschen in die Hände und probieren mit der Lautstärke ihrer Stimme. Davon kann man sich nerven lassen, man kann das Ganze aber auch als Versuch sehen, kreativen und musikalischen Ausdruck zu betreiben. Dieser Versuch sollte nicht unterbunden, sondern in sozialverträgliche Bahnen gelenkt werden. Schließlich weiß man längst, dass das Ausprobieren von Musikinstrumenten aller verschiedener Art und das Experimentieren mit Klängen und Tönen positive Effekte auf Kinder hat: diverse Fähigkeiten, wie die Motorik, die Gehörbildung, das Rhythmusgefühl sowie die Persönlichkeitsbildung und die Kreativität eines Kindes werden durch aktives Musizieren gestärkt.
Spiel im Alltag zulassen
Am besten ist es übrigens, wenn die Kreativitätsförderung auch Einzug in den „normalen“ Alltag hält, der auf den ersten Blick oft eher unkreativ scheint. So unkreativ ist dieser meistens dann doch nicht. Die Küche zum Beispiel ist für Kinder ein Paradies der Kreativität. Diverse Lebensmittel und Koch- und Backutensilien laden aufgrund ihrer Farben und ihrer Haptik zum schöpferischen Spiel ein. Das fertige Essen selbst sollte selbstverständlich im Mund landen. Beim Koch- oder Backprozess dagegen können und sollten Kinder unbedingt miteingebunden werden, wenn sie Interesse zeigen. Selbst, wenn das Mehl beim Plätzchenformen in alle Richtungen fliegt und die Kinderhände eher ungeschickt mit rohen Eiern umgehen: All diese Erfahrungen setzen Kreativitätsprozesse in Gang und schweißen gleichzeitig auch noch familiär zusammen.
Was Eltern sonst noch tun können
Das „Tun“ der Eltern bei der Kreativitätsförderung sollte sich bestenfalls natürlich auf ein Unterstützen beschränken, auf ein Anregen und Hinweisen. Denn Kreativität sollte so wenig wie möglich eingeschränkt oder reglementiert, beziehungsweise konkret vorgelebt werden. Jedoch agieren Eltern automatisch natürlich als Vorbilder. Je kreativer diese sich also verhalten, desto eher werden Kinder angeregt, sich ebenfalls kreativ zu betätigen. Weiterhin können Eltern Kinder unterstützen, indem sie ganz bewusst auf die folgenden Dinge achten:
- Sollten Kinder aus Mangel an Selbstvertrauen häufig Dinge nachmachen und etwa immer die beste Freundin nachahmen, können Eltern ihre Kinder ermutigen, um die Ecke zu denken, die Freundinnen und Freunde mit neuen Ideen zu beeindrucken und zu überraschen. Diese Kindern dürfen darin bestärkt werden, sich einzubringen und auf die eigenen Ideen zu vertrauen.
- Ungewöhnliche Lösungen und Vorschläge von Kindern sollten positiv gewürdigt werden. Auch wenn ein Lösungsansatz eines Kindes uns Erwachsenen im ersten Moment eher abwegig, weil doch sehr ungewöhnlich, erscheint, darf dieser durchaus ausprobiert werden. Manchmal ist es überraschend, wie sehr kindliche Ideen den eigenen Horizont erweitern können.
- Gerne werden Dinge von Kindern umfunktioniert und für etwas anderes gebraucht als eigentlich vorgesehen. Solange nichts kaputt geht und niemand Schaden nimmt, ist das ist keinesfalls zu verbessern oder gar zu tadeln.
- Sich gemeinsam mit den Kindern Dinge anders vorstellen, als sie sind, regt die Fantasie der Kleinen wie der Erwachsenen gleichermaßen an. Eine gemeinsame Fantasiereise kann zusammenschweißen. Oder wer träumt nicht gerne einmal, zum Beispiel auf der Wolke, die einem Elefanten gleicht, emporzuschweben und mit dem Rüssel die Bäume an ihren Blättern zu kitzeln, bis sie niesen?
- Auch sinnvoll ist das Erfinden von Geschichten, die zum Beispiel der Erwachsene anfängt zu erzählen und die das Kind weitererzählen kann. Besonders lustig wird es, wenn jeder abwechselnd einen Satz oder gar nur ein Wort sagt.
- Spontane Reaktionen eines Kindes sollten keinesfalls belächelt sondern bestätigt werden, indem auch die Erwachsenen sich etwa spontan freuen. Selbst, wenn das Geschehen für sie vollkommen normal oder belanglos war.
- Gemeinsam auf Entdeckungsreisen zu gehen, egal in welcher Form, lohnt sich immer. Eltern sind oft überrascht, wie schnell sie selbst auch noch etwas lernen oder wie einfach und fruchtbar es doch ist, manche Dinge wieder einmal „durch die Augen der Kinder“ zu betrachten.
- Generell mag es manchmal anstrengend sein, die Neugierde und das Mitteilungsbedürfnis von Kindern immer zu würdigen. Für deren kreative Entwicklung aber ist genau das unabdingbar.