Auf dem Spielplatz. „Mama, schau mal“, ruft eine Dreijährige stolz vom Klettergerüst. Die Mutter sieht kurz aus dem Gespräch mit einer Bekannten auf, strahlt und ruft: „Toll!“ Eine Szene, wie sie sich so oder ähnlich hundertfach jeden Tag abspielt. Nichts Ungewöhnliches also, völlig normal, harmlos. Doch gar so harmlos ist sie vielleicht doch nicht: Pädagogen warnen vor unbedacht ausgesprochenem Lob. Manche sagen sogar, elterliches Lob sei starke Manipulation mit negativen Folgen für das kindliche Selbstbewusstsein. Wie aber unterstütze und ermutige ich mein Kind richtig?
Selbstverständlich ist es keine Lösung, alle positiven Reaktionen auf Kinder künftig abzuschaffen und stattdessen nur noch auf Fehlern und Schwächen herumzureiten. Ganz im Gegenteil. Je achtsamer Eltern ihrem Kind und seinem Verhalten begegnen, desto mehr wahr-, ernst- und angenommen wird es sich fühlen. Doch Achtsamkeit bedeutet eine ehrliche – und oft anstrengede – Hinwendung.
Diese achtsame Hinwendung ist nicht zu vergleichen mit dem Ausruf „Toll!“ der Mutter im Spielplatzbeispiel. Denn sie ist eben nicht wirklich auf ihr Kind eingegangen, hat schnell und relativ gedankenlos ein Lob ausgerufen. Das Kind weiß nicht, was sie eigentlich so toll findet: dass sie ihre Tochter sieht, dass ihre Tochter sie gerufen hat, dass ihre Tochter auf dem Klettergerüst steht, dass ihre Tochter auf dem Spielplatz spielt oder dass ihre Tochter alleine hochgeklettert ist?
Gründe gegen unachtsames Loben von Kindern
Okay, die Reaktion der Mutter am Spielplatz war vielleicht nicht mustergültig, aber so schlimm auch wieder nicht, oder? Wieso soll loben denn einem Kind schaden?
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Ein Lob wertet
Es ist offensichtlich: Dinge, Verhaltensweisen, Handlungen, für die ein Kind ein Lob erhält, sind offenbar gut. Und was ist logischerweise mit allen anderen? Ein Kind, das es gewohnt ist, für jedes noch so eilig hingekritzelte Bild ein (unehrliches) Lob zu erhaschen, wird ein Bild, für das es sich sehr viel Mühe gegeben aber keine überschwengliche Reaktion erhalten hat, für schlecht befinden. Das Kind lernt: Es ist vollkommen unerheblich, ob ich mir viel Mühe gebe oder nicht. Denn das bedenkenlos ausgeteilte „Gut gemacht!“ ist noch nicht einmal gekoppelt an die vollbrachte Leistung und Mühe oder das erlebte Vergnügen des Kindes. Es wird vielmehr wahllos ausgesprochen.
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Loben übt Macht aus
Bei einer Bewertung der Person oder der Verhaltensweise eines anderen bleibt immer zu fragen: Wer bin ich, dass ich es mir anmaßen kann und darf, über etwas beziehungsweise jemanden zu richten? Der Lobende bestimmt, was gelobt wird und was nicht. Das Kind lernt dabei vor allem eines: Mama und Papa sind die Bestimmer. Sie bestimmen nicht nur, wann ich ins Bett gehe, sondern auch, was ich gut kann und was mir gefallen soll. Der Erziehungsexperte Jesper Juul kritisiert in diesem Zusammenhang: „Die Loberei ist letztlich ein egoistischer Akt, die Eltern fühlen sich dadurch gut.“
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Übertriebenes Lob schadet dem Selbstwertgefühl
Durch häufiges Loben werden Kinder mit der Zeit abhängig von der Bestätigung von außen. Dadurch verlernen sie auf die Dauer, sich selbst und die eigenen Fähigkeiten realistisch einzuschätzen. Dieses übersteigerte Selbstbild muss meist später in einem schmerzvollen Prozess korrigiert werden. Letztlich ist das Kind dann völlig verunsichert: Wenn meine Eltern immer meine so schöne Stimme gelobt haben, warum kichern dann meine Mitschüler, wenn ich singe? Das gibt einem gesunden Selbstwertgefühl einen deutlichen Knacks.
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Belohnungen mindern das Interesse
Ein Kind ist – wie alle Menschen – immer auf der Suche nach Anerkennung. Wenn ein Verhalten besonders viel Lob einbringt, wird es dieses Verhalten zwar immer häufiger an den Tag leben, aber gleichzeitig die Freude daran verlieren. Irgendwann löst sozusagen die Vorfreude auf die Belohnung oder das Lob die Freude an der Tätigkeit ab. Der amerikanische Autor Alfie Kohn schreibt: „Jetzt geht es nicht mehr darum, zu malen, zu lesen, zu denken, zu erschaffen – der ausschlaggebende Punkt besteht nun darin, das Leckerli zu bekommen, ob das nun ein Eis, ein Aufkleber oder ein Lob ist.“
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Ein Lob bezieht sich meist auf Ergebnisse
Üblicherweise hört man Eltern in der Art loben: „Das Bild hast du aber schön gemalt!“ oder „Toll, wie gut du schon lesen kannst!“. Seltener hört man Sätze wie „Schön, wie viel Freude dir das Malen macht!“ oder etwa „Es macht mich glücklich, zusehen zu dürfen, wie du singend über die Wiese hüpfst!“. Ein Lob bezieht sich meist auf Ergebnisse. Bewertet wird die erbrachte Leistung und nicht die Mühe, Freude oder Hartnäckigkeit, die hinter einer Tätigkeit stehen. Das fördert nicht gerade die intrinsische Motivation, sich einer Tätigkeit zu widmen oder etwas zu lernen. Besser ist es, die Anstrengung und das Durchhaltevermögen zu loben, die ein Kind aufgebracht hat, um etwas zu bewerkstelligen („Da hast du dir aber viel Mühe gegeben!“), und nicht das Ergebnis!
So wird Wertschätzung besser ausgedrückt
Unachtsames und übertrieben häufiges Loben durch Mama, Papa, Oma, Onkel, Opa oder Tante kann also im Endeffekt dem Kind mehr schaden als nutzen. Aber das heißt selbstverständlich auf gar keinen Fall, dass ein Kind besser und glücklicher ohne Wertschätzung und Lob groß wird. Es gibt durchaus Möglichkeiten, Wertschätzung so auszudrücken, dass sie beim Kind auch wirklich ankommt und positiv angenommen werden kann. Doch: Wie kann das aussehen?
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Beschreibend loben:
Ein Satz wie „Du hast dich ganz allein angezogen!“ beschreibt zunächst einmal vollkommen wertfrei eine Situation. Hängen bleibt beim Kind, das diese Worte hört, die wohltuende Erfahrung, dass Mama oder Papa es wahrnehmen, dass das Kind und seine Aktion bemerkt wird. Das wiederum ermöglicht es dem Kind, stolz zu sein, sich gesehen zu fühlen und letztlich ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln.
„Da sind vielleicht viele Blumen auf der Wiese, die du gemalt hast. Und sieh hier, die blaue Sonnenblume in der Ecke lächelt ja richtig….“ Es dauert vielleicht etwas länger, beschreibend zu loben. Aber das Lob ist um ein Vielfaches mehr Wert als ein halbehrliches „Das hast du schön gemalt!“ Warum ist das so? Weil der Gelobte, in diesem Fall also das Kind, merkt, hört und spürt, dass man sich richtig mit seinem Werk auseinandersetzt, das Bild tatsächlich eingehend betrachtet und auch noch so kleine Einzelheiten wahrnimmt. Da muss nicht einmal eine Wertung mit einfließen, es muss gar kein „Gut gemacht“ zu hören sein, und trotzdem ist die empfundene Wertschätzung des kleinen Künstlers und seines Werkes mindestens so groß wie bei einem enthusiastischen, aber achtlos und letztlich unehrlich dahin gesagten „Wie wundervoll!“
„Sieh dir Maria an, wie sie strahlt, weil du ihr einen Keks abgegeben hast!“ Diese Worte beschreiben ebenfalls eine Situation, an sich abermals wertfrei. Die Worte haben dennoch mindestens so viel Wucht wie ein „Es ist schön, dass du deine Kekse geteilt hast.“ Denn im letzteren Fall steht vor allem die Meinung und Wertung des Sprechenden im Vordergrund, weniger allerdings das beschenkte Kind. Doch sollte beim Teilen und Schenken vielmehr die Erfahrung gemacht werden, was für ein Gefühl es ist, andere glücklich zu machen. Denn das ist es, was im Mittelpunkt stehen sollte. Weniger geht es doch in dieser Situation darum, die Erwartungen und Wünsche von Mama oder Papa zu erfüllen.
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offene Kommunikation eröffnen/Rückfragen stellen:
Zu den allerwichtigsten Verhaltensregeln für Eltern zählt Authentizität. Das heißt, Gefühle, Meinungen, Stimmungen immer ehrlich zeigen. Bloß nichts vorspielen. Unaufrichtige Eltern bringen die kindliche Welt ins Wackeln. Es ist schlimm für ein Kind, wenn seine engsten Bezugspersonen mit Worten das Eine behaupten, während alle anderen Signale etwas Anderes erzählen. Das bringt Herausforderungen mit sich, wenn wir unsere Kinder nicht mit „Erwachsenenthemen“ belasten wollen. Kinder verstehen ihre kleine Welt nicht mehr. Sie haben gelernt, unsere Mimik, unsere Gesten, unsere Ausstrahlung zu lesen, noch bevor sie die ersten Worte verstehen konnten. Also ehrlich bleiben!
Aber was sollten Eltern tun, wenn das Bild völlig misslungen ist, das einem das Kind stolz unter die Nase hält? Die Lösung liegt laut Experten im (wertfreien) Beschreiben gepaart mit einem Dialog. Rückfragen wie zum Beispiel „Hat es dir Spaß gemacht, mit den Wasserfarben zu malen?„, „Wie bist du denn auf die Idee für das Bild gekommen?“ oder „Was gefällt dir an deinem Bild?“ räumen dem Kind und seinem Werk die gewünschte Aufmerksamkeit ein und geben dem Kind das Gefühl, ernst genommen und geschätzt zu werden. Auch bekommt das Kind dadurch glaubhaft vermittelt, dass seine Meinung wichtig ist, dass es selbst bestimmen darf, was es schön findet und was nicht. Das Ende vom Lied: Das Kind ist zufrieden und eine Lüge musste nicht sein. Was will man als Elternteil mehr?
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(Positive) Ich-Botschaften formulieren:
„Mensch, wenn ich mir das Bild länger anschaue, fühle ich mich fast wie im Frühling! Da ist mir schon gar nicht mehr so kalt.“ „Mir gefallen die Farben besonders gut. Sie passen so gut zusammen. Ich finde, dass sie richtig strahlen.“ „Ich freue mich immer wieder dir dabei zuzusehen, wie du deine Ideen auf ein Blatt Papier bringst.“ Mit Ich-Botschaften sprechen wir von uns selber. Das Kind bekommt Feedback, ohne dabei direkt bewertet zu werden.
Das Kind ist jederzeit dazu eingeladen, eigene Überlegungen anzustellen, sich eine eigene Meinung zu bilden, diese zu kommunizieren, also ebenfalls kund zu tun. Kommunizierte Ich-Botschaften machen das Kind stolz. Es entwickelt einen natürlichen Stolz darauf, dass das eigene Werk etwas im Gegenüber auszulösen vermag, eine (emotionale) Reaktion bei Mama oder Papa hervorrufen kann. Das ist eine viel wertvollere Erfahrung als die Gleichgültigkeit, die ein eventuell schnell und unüberlegt hingeworfenes „Schön, gut gemacht“ widerspiegelt.
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