Sind Hausaufgaben sinnvoll oder nicht? Diese Frage ist nicht neu. PISA, steigende Ganztagesbetreuung und neue Lehrmethoden in der Schule werfen nun aber ein neues Licht auf die Diskussion. Kritiker fordern die Abschaffung von Hausaufgaben, die ohnehin hauptsächlich von den Eltern gemacht würden. Laut einer aktuellen Studie erledigen nicht einmal 32 Prozent der Schüler ihre Hausaufgaben eigenständig und ohne elterliche Hilfe.
Gemeinsame Hausaufgaben belasten Eltern-Kind-Beziehung
Hausaufgaben bilden einen ständigen Konfliktherd – nicht nur in der Schule, sondern auch im Elternhaus. Dabei sind sie doch eigentlich Privatsache des Kindes, könnte man meinen. Weit gefehlt: Laut einer von scoyo beauftragten Forsa-Umfrage erledigen zwei Drittel der 9- bis 13-Jährigen ihre Aufgaben mit Hilfe ihrer Eltern.
Dabei haben nach eigener Auskunft die meisten der Schüler, denen geholfen wird, das Gefühl, die Aufgaben ebenso gut alleine lösen zu können – sicher oftmals entspannter und stressfreier als unter Beobachtung. Selbst wenn sich dann der eine oder andere Fehler mehr einschleichen sollte, wird zumindest das Verhältnis Mutter/Vater-Kind nicht unnötig belastet. Denn eines ist klar: Die für alle Seiten unangenehme gemeinsame (!) Hausaufgabenpflicht geht in sehr vielen Familien auf Kosten der glücklichen Eltern-Kind-Beziehung.
Ob mit Mama oder alleine gearbeitet wird – grundsätzlich sind die nachmittäglichen Schulaufgaben bei Schülern ziemlich unbeliebt. Davon können Generationen von früheren Schülern, Eltern und Lehrern ein Lied singen. Und zwar seit vielen Jahrhunderten. Übungsaufgaben zu Hause sind bereits seit dem 15. Jahrhundert in den damals höhergestellten Knaben vorbehaltenen Schulen Teil des Unterrichtswesens in Deutschland.
Kritiker fordern: Hausaufgaben abschaffen!
Immer wieder unternahmen seither Pädagogen, Soziologen oder Psychologen einen Vorstoß, die bestehende Hausaufgabenpraxis zu verändern oder gar die nachmittäglichen Aufgaben gänzlich abzuschaffen. Der Lehrer Hilmar Schwemmer stellte 1980 Hausaufgaben als unnötigen Konfliktherd dar, Das Magazin „Der Spiegel“ titelte 1982 „Schularbeiten – Alptraum der Familie“ und im gleichen Jahrzehnt kritisierte man allerorten, dass Mütter als „Hilfslehrer der Nation“ missbraucht würden.
Nach dem breiten Aufschrei in den 1980er Jahren war es einige Jahrzehnte war es recht ruhig in der Frage nach Sinn und Zweck von Hausaufgaben. Nun wird die Debatte von mehreren Seiten wieder neu angeheizt. Ursachen sind neben den PISA- und IGLU-Studien die Diskussion um das achtstufige Gymnasium (G8), der deutliche Trend zu mehr Nachmittagsbetreuung und Ganztagsschulen sowie Erkennsnisse der Lehr- und Lernforschung.
Die wichtigsten Kritikpunkte sind:
Kritikpunkt 1: Hausaufgaben verbessern Leistung nicht
Die Gegner von nachmittäglichen Schulaufgaben kritisieren die unverhältnismäßig hohe Stressbelastung für Schüler und Eltern bei nicht einmal nachweisbarem Lernerfolg. Denn die empirische Forschung belegt, dass es keine eindeutigen Anhaltspunkte für einen leistungssteigernden Wert von Hausaufgaben gibt.
So fasste beispielsweise Bernhard Wittmann bereits in den 1960er Jahren seine in der Fachwelt immer wieder zitierten Studienergebnisse mit Drittklässlern zusammen: Es „ergibt sich, dass bei der Messung der Rechen- und Rechtschreibleistungen am Ende der viermonatigen Experimentalperiode keine signifikanten Unterschiede vorliegen, also auch keine Wirksamkeit der Hausaufgaben behauptet werden kann“. Spätere Untersuchungen bestätigten den Befund immer wieder, eine leistungsstärkende Wirkung von Hausübungen ließ sich nicht nachweisen.
Kritikpunkt 2: Mangelnde Chancengleichheit
Ein weiterer Kritikpunkt ist die mangelnde Chancengleichheit. Denn solange ein Großteil der Schüler die Hausaufgaben mit Mamas oder Papas Hilfe erledigt, haben es Kinder aus sozial schwachen Familien ungleich schwerer als Kinder der Mittelschicht.
Schüler aus sozial schwachen Schichten müssen nicht nur häufiger als andere auf einen erwachsenen Helfer verzichten. Zusätzlich dazu sind sie häufiger als Kinder der Mittelschicht dadurch doppelt benachteiligt, dass sie häufig auf kleinere Geschwister aufpassen oder im Haushalt oder im Betrieb der Eltern mitarbeiten müssen, wodurch ihnen die Zeit für die Hausaufgaben fehlt.
Noch unfairer werde es durch quasi „hinzugekaufte“ Hilfe alias Lerncoach oder Nachhilfelehrer. Für immer mehr Schüler ist der Besuch einer Nachhilfeschule als Dauergast über viele Jahre hinweg Normalität geworden. (Siehe auch: Nachhilfe im Trend – ein Viertel aller Schüler)
Kritikpunkt 3: Hausaufgaben nehmen die Lust am Lernen
Das Hauptproblem aber ist: Für die Erledigung ihrer Hausübungen sind Schüler fast immer extrinsisch motiviert, das heißt, sie müssen die Hausaufgaben machen, ob sie Lust darauf haben oder nicht. Dabei sitzt ihnen der Notendruck und die Angst vorm Versagen stets im Nacken. Somit werden die Aufgaben nicht selten zur täglichen Qual.
Die Lernforschung jedoch hat schon längst den Wert intrinsischer Motivation erkannt. Das heißt, wenn ein Schüler an einem Lerninhalt selbst ehrliches Interesse entwickelt, fällt ihm nicht nur das Lernen leichter, sondern das Gelernte bleibt auch deutlich stärker und länger im Gedächtnis verankert. Intrinsisch motiviertes Lernen, also Lernen aus Eigenmotivation heraus, kann sozusagen als das Gegenteil vom oft geschimpften „Bulimie-Lernen“ angesehen werden, bei dem der Schüler eine große Menge an Lernstoff binnen kurzer Zeit in sein Hirn stopft und ebenso schnell wieder vergisst.
Immer mehr wird auch an staatlichen Regelschulen im Unterricht versucht, auf diese Erkenntnis Rücksicht zu nehmen. Durch vermehrte Projektarbeit oder Freiarbeit sollen Schüler ihre Eigenmotivation ausbauen, wissenschaftlich ausgedrückt also mehr intrinsisch motiviert und dadurch nachhaltig lernen.
Kritikpunkt 4: Hausaufgaben stellen Kinder unter Stress
Während in der Wirtschaft wieder die 35-Stunden-Arbeitswoche diskutiert wird, wird allgemein in Kauf genommen, dass Kinder und Jugendliche bis zu 45 Stunden pro Woche arbeiten – Zeit in der Schule, Zeit für Hausaufgaben und Zeit für Lernen, Wiederholen oder allgemeines Üben zusammengenommen. Immer mehr Schüler leiden unter einem akuten Erschöpfungssyndrom, stehen also kurz vor dem Burn-out.
Ärzte und Schulpsychologen weisen immer wieder darauf hin, dass vor allem für jüngere Schüler ein halber Tag schulischen Lernens ausreicht. Durch Schulaufgaben am Nachmittag fehlt die Zeit für freies Spielen, die für eine gesunde Entwicklung von Kindern unerlässlich ist.
Besonders groß wird der individuell empfundene Stress, wenn die Aufgaben, vor allem von leistungsschwachen Schülern, unter psychischem Druck erledigt werden. Dadurch können Leistungsängste, Versagensängste und eine Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls hervorgerufen werden.
Wenn beim Lernen Stress im Spiel ist, sind auch die Lernerfolge unbefriedigend, weil Stress das Frontalhirn blockiert. Das kritisiert Detlef Träbert vom Bundesverband „Aktion Humane Schule e.V.“. Er sieht Hausübungen gar als „Hausfriedensbruch„, da sie Gift für das Verhältnis von Kindern und Eltern seien.
Himmelrath: „Hausaufgaben – Nein Danke“
In seinem 2015 erschienenen Buch Hausaufgaben – Nein Danke! schimpft der Pädagoge und Autor Armin Himmelrath über Hausaufgaben: „Sie sind sozial ungerecht, pädagogisch fragwürdig und persönlich belastend: Hausaufgaben gehören seit Jahrhunderten zum Standardrepertoire von Lehrerinnen und Lehrern – dabei wird ihre Wirkung für den Lernprozess völlig überschätzt.“
Himmelrath fordert nicht nur die Abschaffung der nachmittäglichen Pflicht für Schüler. Selbstwirksamkeitserfahrungen, Motivationssteigerungen, Selbststrukturierung blieben bei Hausaufgaben in aller Regel auf der Strecke. Er ist sich darüber hinaus auch noch sicher, dass eine Schule ohne Hausaufgaben dazu führen könne, dass die Schüler umso lieber in die Schule gehen würden und durch diese verbesserte Haltung ihren Aufgaben gegenüber auch umso besser lernen würden. Seine Ausführungen spickt er mit allerhand wissenschaftlich belastbaren Studienergebnissen.
Laut Himmelrath ist es „allerhöchste Zeit also, sich mit anderen Konzepten des eigenständigen Lernens zu befassen, und ein pädagogisch unbegründetes Dogma“ abzulösen.
Hausaufgaben und Reformpädagogik
Während Hausaufgaben in den meisten öffentlichen Schulen bisher außer Frage stehen, gibt es Alternativschulen, die teilweise seit Jahrzehnten ohne jegliche Form von verpflichtenden Hausaufgaben arbeiten. Meist handelt es sich dabei um Privatschulen, die in Ihrem Konzept und Alltag auf Reformpädagogik setzen. Beispielsweise arbeitet der überwiegende Teil von Montessorischulen gänzlich ohne vorgeschriebene nachmittägliche Aufgaben zu Hause. Hintergrund ist, dass die Pädagogik Maria Montessoris der Eigenmotivation von Kindern einen besonders hohen Stellenwert einräumt. Eine Kurzbeschreibung der wichtigsten reformpädagogischen Strömungen finden Sie hier.
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