Nie wurden mehr Erziehungsratgeber verkauft, nie mehr Elternkurse besucht als heute. Was Kritiker als Ratgeberitis beschimpfen, ist letztlich nur der lobenswerte Versuch heutiger Eltern, alles richtig zu machen. Mehr als früher wissen Eltern um ihre immense Verantwortung. Der Erziehungsauftrag heute ist ein anderer als noch vor einer Generation.
Die „Wir wollen es nicht vergeigen“-Generation
„Meine Mutter hat gesagt, ich gehe viel zu theoretisch an die Sache ran. Warum wir uns denn aufs Kindererziehen vorbereiten wie aufs Abitur, hat sie gefragt.“ Tatjana steht vor dem Bücherregal im Wohnzimmer ihrer Vierzimmerwohnung. Fast ein ganzes Fach füllen Ratgeber übers Elternsein und Familienleben, über glückliche Kinder und kleine Tyrannen, über Achtsamkeit, Babyjahre, Anarchie im Kinderzimmer und übers Grenzen setzen, über Erziehungstricks und Kindergeburtstagsspiele. „,Wir sind heute eben nicht mehr so cool wie ihr es wart‘, habe ich ihr geantwortet, ich will es einfach nicht vergeigen.“
Nie waren Erziehungsratgeber gefragter
Dabei ist Tatjana in ihrer Mutterrolle nicht per se weniger cool als ihre eigene Mutter es war. Sie bekam ihren ersten Sohn nur zu einer anderen Zeit. Zu einer Zeit, in der Elternbildung zum Babykriegen scheinbar dazugehört wie die Schwangerschaft selbst. Ob per Seminar oder Erziehungsratgeber in Buchform – Eltern von heute begleiten ihr Familienleben durch intensives theoretisches Selbststudium. Zu keiner Zeit waren Erziehungstipps von Fachleuten gefragter als heute. Bücher, die Erleichterung im Familienleben versprechen, landen seit Jahren auf den ersten Plätzen der Bestsellerlisten.
Natürlich kann man über diese ratsuchenden Eltern urteilen wie Tatjanas Mutter. Mit Sicherheit schießt der eine Vater oder die andere Mutter teilweise übers Ziel hinaus.
Erziehung von Generation zu Generation neu definiert
Doch letzten Endes sind die heutigen Eltern doch nur Eltern, die sich ihrer Verantwortung in vollem Umfang bewusst sind. Sie wollen es eben nicht „vergeigen“, wie Tatjana es ausdrückt. Sie wollen keine Fehler machen, eben weil sie wissen, wie schnell Fehler gemacht werden können und wie verheerend die Folgen für ihre Töchter und Söhne sein können. Hier hat sich etwas wesentlich verändert im Vergleich zu früheren Zeiten, spätestens seit der Erkenntnis von den lebenslang prägenden ersten Kindheitsjahren.
Perfekte Kinder waren höflich, sauber, untergeordnet und brav
Als Tatjanas Mutter selbst noch ein Kind war, ging es den Eltern neben der körperlichen Versorgung ihrer Kinder vor allem darum, die Kleinen zu anständigen Menschen zu erziehen, die sich zu benehmen wussten und die man in der Gesellschaft vorzeigen konnte. Brav und angepasst, untergeordnet, ordentlich, fleißig und höflich zu sein waren höchste Tugenden. Die Regeln stellten die Erwachsenen auf, das Machtgefälle war eindeutig. Ob die Kinder dabei glücklich waren oder nicht, wurde kaum hinterfragt. Kommunikation auf Augenhöhe war undenkbar.
Klare Dogmen abgelöst durch verschiedene Modelle
Tatjanas Generation begann später langsam, alte Familientraditionen auszuhebeln und in Frage zu stellen. Doch auch nach den 68ern fußten einige Strukturen noch auf einem seit Jahrzehnten unveränderten Bild vom Kind. Weite Teile der Bevölkerung hatten dieselben Ansichten davon, welche Rolle die Kinder in einer Familie einzunehmen hatten und wie Mutter und Vater erziehen müssten. Die Dogmen, denen gute Eltern folgen mussten, waren klar.
Heute funktioniert Erziehung anders als früher. Die Sicht auf die Familie und das Kind hat sich mittlerweile maßgeblich verändert. Auch gibt es nicht mehr den einen einzigen Weg, den gute Eltern beschreiten sollen. Es existieren sehr unterschiedliche Meinungen und Entwürfe zum Thema Kindererziehung. Erziehungsratgeber finden sich zu diesem und jenem Modell.
Generation der bewussten, reflektierten Eltern
Unerheblich, welcher Überzeugung Tatjana und ihr Mann folgen, ist eines sicher: Sie sind in jedem Fall deutlich bewusster Eltern als es die Generationen vor ihnen waren. Sie reflektieren ihre Grundsätze, ihr eigenes Tun immer wieder. Sie überprüfen ihre eigenen Regeln und die Umsetzung ihrer Prinzipien im Familienalltag.
Wenn der Motor Familie nicht rund läuft, bleiben die schwächsten im System irgendwann auf der Strecke. Das Perfide: Bis die Erwachsenen gemerkt haben, woran es hapert und wie es reibungsloser funktionieren könnte, sind die Kinder oft schon beinahe aus dem Haus.
Kindheit lässt sich aber nicht nachholen und auch nicht wiedergutmachen.
Also warum nicht früh genug für ausreichend Schmierfett sorgen, damit der Motor störungsfrei läuft? Dieses Schmierfett ist eine gute Eltern-Kind-Beziehung, denn diese ist es letztendlich, die Familien für alle Herausforderungen wappnet.
Fokus auf Eltern-Kind-Beziehung
Durchaus gut im Familienregal untergebracht sind Ratgeber, die an der Kommunikation zwischen Eltern und Kindern und damit an einer von Liebe und gegenseitigem Respekt geprägten Eltern-Kind-Beziehung ansetzen. Remo Largo (Kinderjahre), Jesper Juul (Grenzen, Nähe, Respekt) oder Steve Biddulph (Das Geheimnis glücklicher Kinder) zum Beispiel sind Bücher dazu gelungen.
Ratgeberbuch oder multimediales Onlinetraining
Wer weniger gerne in Büchern blättert und lieber multimedial an den eigenen Erziehungsfertigkeiten arbeitet, dem sei das Webinar des Heilpädagogen Kay Rurainski empfohlen. In seinem spielerisch aufgebauten und durch Audio- und Videobeiträge aufgelockerten Onlinetraining für Eltern vermittelt er nachvollziehbar, wie gute Kommunikation zwischen Eltern und Kindern funktionieren kann.