Kinder planen anders als Erwachsene: Schüler beim Architektur-Workshop für den Umbau ihrer Schule.

Schul(t)räume – Partizipative Architektur

Es ist ein beliebtes Thema im Kunstunterricht der zweiten Klasse Grundschule: „Male deine Traumschule!“ Fantasievolle Häuser entstehen dann, mit Rutschen statt Treppenhäusern, Schwimmbädern statt Aulen und Reitplätzen statt Tartanbahnen. Doch was passiert, wenn Schüler tatsächlich ihre Ideen verwirklichen dürfen? Wenn sie ebenso wie die Lehrer gemeinsam mit den Architekten ihr Schulgebäude entwerfen? Im Idealfall kommt dabei ein Haus heraus, in dem sich die Schulgemeinschaft auch wirklich wohlfühlt. Und besser lernt. Der Trend „partizipative Planung“ oder „partizipative  Architektur“ hat die Schulen erreicht.

Sofaecken, Sitzsack-Burgen, Stuhlkreise: Moderne Schulen haben teils nicht mehr viel gemein mit den Flurschulen der vergangenen Jahrzehnte, in denen von einem langen Gang links und rechts die Klassenzimmer abgingen. Vielmehr entstehen heute Lernlandschaften mit offenen Türen, Ruhe- und Begegnungsräumen, Stehtischen, Stillarbeitszonen, variablen Arbeitsbereichen und Meeting Points. Die Workspace-Architektur à la Silicon Valley lässt grüßen.

Schüler sitzen auf Polstern im Schulgang und lesen
Lounge, Polster, Rückzugsecken – Schüler lernen in Räumen à la Workspace im Silicon Valley.

Der Raum als „dritter Pädagoge“

Dahinter steckt die Erkenntnis: Es lernt sich besser, leichter, entspannter, je wohler man sich in der Umgebung fühlt. Die Forschung hat längst gezeigt, wie groß der Einfluss von Räumen, Möbeln, Farben, Luft und Licht auf das Wohl von Schülern und Lehrern ist. Eine passende Umgebung motiviert die Schüler und unterstützt wesentlich ihre Konzentrations- und Aufnahmefähigkeit. Loris Malaguzzi, italienischer Pädagoge und Begründer der Reggio-Pädagogik, bringt das auf den Punkt. Er prägte den Satz: „Die anderen Kinder sind der erste Pädagoge. Lehrer sind der zweite und der Raum ist der dritte Pädagoge.

Wie aber lässt sich ein Raum am ehesten so gestalten, dass sich alle darin wohlfühlen? Am besten, indem man schon bei der Planung diejenigen mit an den Tisch holt, die den Raum dann auch täglich nutzen werden. Diejenigen, die die Planung auf Reißpapier und als CAD-Konstruktion anschließend mit Leben füllen sollen. Immer mehr Kommunen setzen auf partizipative Stadtplanung und Architektur im öffentlichen Raum. Auch bei Bau und Sanierung von (Privat-)Schulen werden Erfahrungen gemacht.

Architekten planen oft an Schülern und Lehrern vorbei

Bei einem herkömmlichen Planverfahren von öffentlichen Gebäuden wie Schulen engagieren Kommune oder Landkreis ein Architekturbüro. Im besten Fall wurde der Schulleiter vor der Ausschreibung noch nach seinen Wünschen und den Bedürfnissen der Schulgemeinschaft gefragt. Ab da aber läuft die Planung oft genug gänzlich ohne diejenigen weiter, für die eigentlich gebaut wird. „Dann beginnt der Betrieb, und erst wenn der Raum tatsächlich genutzt wird, werden Probleme und Planungsfehler offensichtlich. Aber dann ist es schon zu spät“, erzählt Roland Gruber. Der Architekt hat das immer wieder erlebt. Und immer wieder habe es dann von Seiten der Nutzer, also der Schulgemeinschaft, geheißen: „Das hätten wir euch gleich sagen können. Aber uns hat ja niemand gefragt.“

Lehrer, Schüler und Architekten diskutieren Baupläne anhand eines Architekturmodells.
Lehrer, Schüler, Architekten: Von Anfang an sind alle Beteiligten bei der Planung dabei.

Partizipative Architektur holt alle Beteiligten ins Boot

Gruber hat daraus für sich Konsequenzen gezogen. Er hat das Büro nonconform für Archtitektur und partizipative Entwicklung gegründet. Seit dem Jahr 2005 setzt er bei Projekten schon in der Phase null, also noch vor der eigentlichen Planung, auf intensive Beteiligung aller Mitspieler. „Es ist verdammt wichtig, alle mit ins Boot zu holen, die den Raum dann auch bespielen müssen“, sagt Gruber. Das machen die Architekten in einer Ideenwerkstatt, für die sie etwa drei Tage lang vor Ort mit den Beteiligten Ideen sammeln, Vorschläge entwickeln, erste Grobskizzen entwerfen. Bei Schulen sind das Schüler, Lehrer, Politik und Verwaltung.

Ein maßgeschneidertes Gesamtbild des Raumes

Alle haben ihre Wünsche, alle haben ihre Erwartungen an ein optimales Schulhaus. Während Schüler laut Gruber hauptsächlich Mikromaßnahmen wie größere Spiegel in den Toiletten in den Ring werfen, zielen die Wünsche der Lehrer stark auf die Struktur des derzeitigen Unterrichtsbetriebs, während die politisch Verantwortlichen eher ein Augenmerk auf die Langzeitnutzbarkeit der Räume haben. Alle Ansätze haben ihre Berechtigung, alle Impulse fließen mit in die Planung mit ein. „Das kann man fast nicht vordenken, da kann man ein noch so guter Planer sein“, meint Gruber. Der Erfolg der Ideenwerkstatt sei ein wesentlich maßgeschneiderteres Gesamtbild des Raumes.

Beteiligung von Anfang an reduziert Leerstand

Selbstverständlich ist so ein Planungsprozess entsprechend aufwändig. Aber das Ergebnis versöhne im Nachhinein immer mit den Vorbereitungen. „Zehn Quadratmeter falsch gebauter Raum kosten am Ende viel mehr als eine intensivere Planungsphase„, sagt Gruber. Und das sei bei herkömmlicher Planung beinahe an der Tagesordnung. Der Architekt ist sich sicher: „Ein intensiver Beteiligungsprozess von Anfang an reduziert den Leerstand von Flächen eindeutig. Dadurch zahlt sich Partizipation aus.“

Lehrer und Architekten stehen um einen Tisch mit Bauplänen
Immer im Dialog: Lehrkräfte und Architekten diskutieren die Pläne.

Wo Schüler und Lehrer gerne arbeiten

Über all dem Praktikablen und Finanziellen steht aber ein Aspekt, der eine Beteiligung aller Akteure so oder so zum Königsweg werden lässt: Die Wahrscheinlichkeit, dass Schüler und Lehrer jeden Tag gerne in die Schule gehen, ist um ein Vielfaches höher, wenn sie bei deren Gestaltung ein Wörtchen mitzureden hatten. Schließlich ist gerade eine Schule kein rein technisches Konstrukt, sondern ein emotionaler Raum, dessen Atmosphäre ungeheuer wichtig ist.

Diese Schulen haben partizipative Planung und Architektur erlebt

Das erleben die Schüler und Lehrer jeden Tag im österreichischen Leoben, wo ein Schulhaus mit Herz entstand, dessen Stockwerke sich großzügig zum schuleigenen Freibereich öffnen. Oder in der Montessorischule Würzburg, bei der alte Klostermauern und Neubauteile verbunden wurden und taghelle Klassenzimmer sowie variabel nutzbare Räume entstanden sind. Oder in der Dresdner Montessorischule Huckepack, in der ganz neue Raummöglichkeiten erschlossen werden konnten.

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